Höhepunkte, ob nun orgastisch oder metaphorisch. Ist es nicht das, wonach wir streben? Was braucht man eigentlich für die eigene gute Zeit? Für den zusätzlichen Kick, die Befriedigung der Lust. Wo beginnt der eigene freie Wille und wo ergreift der Trieb Besitz?
Fetisch oder Kink?
Das Miriam Webster Dictionary definiert Kink \ˈkiŋk\ in diesem Kontext als “unconventional sexual taste or behavior” und am Ende des Tages haben wohl die meisten von uns irgendeinen Kink. Der Finger, an dem während des Orgasmus gesaugt wird, oder dieses Blitzen in den Augen des Gegenübers, dass uns während dessen Höhepunkt so anmacht.
Die Publikation The Daily Californian kam 2020 in einer Umfrage unter UC Berkley Studierenden zum Ergebnis, dass über 37 % irgendeine Form von BDSM präferieren. Ist BDSM dann noch “ungewöhnlich” genug, um überhaupt einen Kink darzustellen, oder ist das Thema inzwischen so Mainstream, als dass es eigentlich die Norm widerspiegelt? Ist der neue Kink vielleicht keinen Kink im klassischen Sinne zu haben und StiNo (stinknormal) wird zum neuen Kink?
Für mich ist es wichtig Kink und Fetisch zu trennen, vor diesem Hintergrund passt auch die Definition im Miriam Webster Dictionary für den Begriff Fetish \ˈfe-tish\ als “an object or bodily part whose real or fantasied presence is psychologically necessary for sexual gratification and that is an object of fixation to the extent that it may interfere with complete sexual expression”.
Klinisch wiederum wird Fetischismus als Sexualstörung diagnostiziert und so zum Beispiel im ICD-10 unter F65.0 als “Gebrauch toter Objekte als Stimuli für die sexuelle Erregung und Befriedigung. Viele Fetische stellen eine Erweiterung des menschlichen Körpers dar, z.B. Kleidungsstücke oder Schuhwerk. Andere gebräuchliche Beispiele sind Gegenstände aus Gummi, Plastik oder Leder. Die Fetischobjekte haben individuell wechselnde Bedeutung. In einigen Fällen dienen sie lediglich der Verstärkung der auf üblichem Wege erreichten sexuellen Erregung (z.B. wenn der Partner ein bestimmtes Kleidungsstück tragen soll)” bestimmt. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass eine Behandlung im Sinne einer Psychotherapie jedoch nur dann notwendig wird, wenn es zu einem konkreten Leidensdruck kommt und/oder andere Personen aufgrund dessen Schaden nehmen könnten.
Aus diesen Definitionen ergibt sich der wesentliche Unterschied, ein Kink ist ein Kann und eben kein Muss, während beim Fetisch die Grenzen fließend sind und bis in eine krankhafte Störung laufen können. Den Kink wiederum auszuleben, diese gewisse Extra auch zu genießen und ggf. zu teilen, ohne mich jedoch darauf zu begrenzen oder gar dadurch eingeschränkt zu sein, erweitert für mich die Facetten des (gemeinsamen) Spiels.
Was mein ist, muss nicht dein sein
Über die Jahre hatte ich das Glück viele Erfahrungen machen zu dürfen, sowohl menschlich als auch in Bezug auf Kink- und Fetisch-Themen, gleichzeitig bedeuten diese Erfahrungen auch, dass ich für mich austesten und lernen durfte, was mich anspricht und was nicht. Es gab fast immer diesen Safe Space, in dem ich mich verwirklichen und auch mal Fehler machen konnte.
Manchmal waren es die einfachen Dinge, ein Flogger oder eine Peitsche die ausrutschte und in der Folge zu Hämatomen führte, die für die Trägerin für eine Weile eine unerwünschte und schmerzhafte Erinnerung darstellte. Andere Male einfach ein Abbruch, weil die Ergebnisse des Spiels unangenehme oder gar unerwünschte Schmerzen hervorriefen. Ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste, Punkt der mich dabei gehalten hat war Kommunikation und damit einhergehend Transparenz.
Gerade wenn man über Erlebnisse spricht, nicht zwingend just in dem Moment, sondern in der Reflexion und nachdem die Lust abgeklungen ist, kommen oft auch kritische oder negative Stimmen zu Wort, die man andernfalls im laufenden Spiel nicht zugelassen hat. Ein ehrlicher und vertrauensvoller Austausch macht es mir dabei sehr leicht auch klarzustellen, wenn mir etwas einfach nichts bringt oder wenn die Gegenseite zwar mitspielt, der Kink jedoch für sie gar nicht der relevante Punkt ist, sondern sie beispielsweise durch meine Lust mehr empfindet.
Mein persönliches Fazit über die Zeit ist vor allem, dass man nicht jeden Kink oder auch Fetisch teilen oder gar mitmachen muss und sollte. Grenzen sind wichtig, sowohl die harten als auch die weichen Grenzen. Eine weiche Grenze kann ich aktiv oder auch passiv verschieben. Während unter anderem Natursekt für sich genommen keinen Mehrwert für mich bedeutet, kann er im Spiel im richtigen Moment als Erniedrigung durchaus erwünscht und hilfreich sein. Wirklich harte Grenzen bleiben davon jedoch unberührt, ich will diese auch gar nicht verschieben und das bedeutet, dass ich sie jedoch auch in der Kommunikation klar vertreten und gegebenenfalls als solche (er-)klären sollte.
Die Quintessenz dieser Betrachtung ist vor allem, dass ich diese Art der weichen Grenzen als immense Bereicherung empfinde. Der Weg führt weg von statischen Ja- und Nein-Situationen, man darf und soll auch kommunizieren aber sich ebenso von der Stimmung selbst tragen lassen und das Spiel genießen. Ich nenne es liebevoll agiles BDSM.
Multiplikation der Lust
Gemeinsame Lust und vor allem auch gemeinsamer Kink kann also durchaus beflügeln. So sehr, dass 1+1 eben nicht mehr 2 ergibt, sondern zu einem Vielfachen des Ursprünglichen wird. Gleichzeitig impliziert ein Kink oft auch eine Wohlfühlsituation, und zwar so sehr, dass damit unter Umständen weitere Faktoren hinzukommen. Fühlt man sich wohl ist man oft auch stärker in der Situation und der eigenen Rolle, ein Gefühl der Sicherheit, dass auch nach Außen hin strahlt. Der aktive bzw. dominante Part wirkt dann womöglich noch stärker und die passive bzw. devote Person kann sich besser fallen lassen und ihre Hingabe zeigen.
Mit Hilfe dieser Tiefe des Spiels schaffen wir uns in der Begegnung mit anderen einen Raum, der nicht nur in sich selbst sicher ist, sondern auch allen Beteiligten den Raum bietet sich zu entfalten oder entfalten zu lassen.
Versteckspiele
Grenzen gehen häufig auch mit Scham einher. Soziale Normen, die uns in unserer Entwicklung aufgezwungen worden sind und mit denen in Bezug auf Kink und Fetisch Grenzen der Gesellschaft durchbrochen werden. Eine Person, die eine andere schlägt. Gewalt ausübt. Körperflüssigkeiten, die für sich genommen klar entgegen der Norm verwendet werden. Gewalt oder Ekel als Mittel im Spiel sind gerade für Einsteiger in das Thema zunächst nicht denkbar und Plattformen oder soziale Netzwerke wie Tinder, Instagram, Twitter etc. haben in ihren Bedingungen konkrete Ausschlussklauseln, die auf den meist sozialen und moralischen Normen basieren, denen die Betreiber in ihrer jeweiligen Jurisdiktion unterliegen.
So kommt es, dass wir uns natürlich auch in diesen Kontexten im Normalfall nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Klarnamen sind die absolute Ausnahme, Bilder in sozialen Medien werden meist anonymisiert oder sie zeigen nur Ausschnitte, mit denen die Person darauf hofft nicht erkannt zu werden, während die eigene (Selbst-)Darstellung erhalten bzw. gefördert werden soll.
Vielleicht sind das auch Aspekte, die insbesondere Rollenspiele mit all ihren Facetten so interessant machen. Klischees die bedient werden, von der Sekretärin und ihrem Chef, der Krankenschwester und ihren Patient:innen oder der Lehrer:in mit ihren Schüler:innen. So ergibt sich schnell eine Maske oder ein Kostüm hinter bzw. in dem man sich verstecken oder eben jemand anderes sein kann. Eine Schicht Stoff oder Materialien wie Lack, Leder und Latex, die gegen die Außenwelt abschirmen und ein besonderes Körper-/Hautgefühl vermitteln.
Der Stoff unter dem Gefühle entstehen
Gegenstände und Materialien sind Themen, die bei vielen mit den Begriffen Kink und Fetisch verknüpft werden. Ein Lederrock, der ihr nach Außen Härte verleiht und sich nach innen warm auf der Haut anfühlt oder Latex, dass sich der Umgebungstemperatur anpasst und eine hauchdünne Abgrenzung zur Umwelt darstellt, verbunden mit einem unnatürlichen Glanz.
Meinen ersten Kontakt mit Latex hatte ich mit Anfang 20, es war ein einfacher getauchter String für die damalige Lebensabschnittsgefährtin. Er hielt die Feuchte an der richtigen Stelle und glänzte in Verbindung mit Wasser oder besser noch Öl verführerisch. #RückblickendBetrachtet amüsiert mich dieser Umstand ein wenig, denn heute ist das ein Kink, der mich durchaus häufig leitet, und zwar nicht nur im Sinne der rein sexuellen Lust, sondern auch verbunden mit dem Hobby der Fotografie.
Dieses Gefühl, wenn man selbst darin steckt und Berührungen empfängt oder über Handschuhe eine andere Person berührt. Die Distanz, die gleichzeitig eine Nähe ist. Natürlich schwitzt man darin und während Flüssigkeiten keinen Weg heraus haben, bedeutet das auch ein weiteres Gefühl, mit dem man sich zwangsweise auseinandersetzen muss. Ein Kokon sozusagen, der Schutz vor allem bietet und doch so gar nicht schützen könnte, denn das Material ist durchaus nicht grenzenlos unempfindlich oder gar dehnbar.
Wenn die eigenen Finger behandschuht um ihren Mund streichen, in selbigen eindringen oder ihre Lenden lustvoll teilen, um die Feuchte der Lust aufzunehmen. Ein wenig wie ein fremder Gegenstand und doch in Form des vertrauensvollen Partners. Das Besondere ist vor allem die Varianz, von einfachen Elementen wie Handschuhe oder Slips bis hin zu kompletten Outfits lassen sich quasi endlose Kombinationen erfinden. Die persönliche Verwirklichung in Form eines besonderen Materials.
Die Eleganz der überspitzten Weiblichkeit
Während diese Erfahrungen und auch die eigene Darstellung Teil des Spiels sein kann, löst es bei mir auf beziehungsweise an der Partnerin noch mal eine andere Reaktion aus. Sie zu sehen, ob nun im eleganten Outfit mit Latex ergänzt oder einem kompletten Ensemble, die körperlichen Reize dargestellt, für die Person ausgewählt und ihre Eigenschaften unterstreichend.
An dieser Stelle kommt auch meine Liebe zur Fotografie ins Spiel. Einen Körper überspitzt künstlerisch darzustellen, sei es nun die Körperformen verhüllt aber eben doch auch unverhüllt darzustellen reizt mich auf vielen Ebenen. Unwirkliche und auch mal extreme Ansichten oder Situationen umzusetzen, in denen auch mal die Person im Material zum Objekt wird treibt mich dabei auch oft auf eine ganz besondere Weise an.
Diese überspitzte Darstellung gipfelt für mich auch in abwegigen Kombinationen, das glänzende Latex mit surreal hohen Schuhen kombiniert ist dabei beinahe Standard. Absätze ab 10 Zentimeter, Plateaus jenseits der 20 Zentimeter. Ein Bild entsteht für mich auch dadurch, dass Posen bewusst unnatürlich und unwirklich umgesetzt werden. Orte und Situationen, die miteinander im Kontrast stehen. Das neue glänzende Latex, vielleicht in Form eines einer Lehrerin gleichenden Outfits, in einer alten verlassenen Schule oder eine leere Fabrikhalle mit einem durchaus überbordenden Ensemble aus Latex und High Heels, die kaum zum Stehen gedacht sind. Ein alter Reichsbahn Speisewagen, der Tisch gedeckt und einladend, dazu ein Paar in einem durchaus passenden Set, er im Latexanzug und sie im Business Dress. Casual Latex. Situationen, die natürlich sind, kombiniert mit dem Kink des Materials.
Am Ende bleibt hier vor allem das Ungewöhnliche als greifbarer Kink, der zwar sexualisiert entsteht und genutzt beziehungsweise umgesetzt wird, am Ende aber keine konkreten oder direkten Höhepunkte, sondern eher eine konsequente Verstärkung der Lust darstellt.
Von der Anonymität des Objektes
Eine besondere Situation, der ich zu Beginn meiner eigenen Erfahrungen durchaus kritisch gegenüber stand sind die eher klassischen Ganzanzüge aus Latex. Im Extremfall von Kopf bis Fuß und mit Maske verhüllt, stellen diese Outfits zunächst ein sehr beeindruckendes und auch abschreckendes Bild dar. Bei diesem Aspekt gehen die Meinungen und Vorlieben allerdings stark auseinander.
Aus fotografischer Sicht, wie auch unter dem Aspekt der Vorführung auf Events, hat diese Facette für mich noch einmal eine eigene Dynamik. Weibliche Aspekte des Körpers, dessen Form und Proportionen, werden simplifiziert und pointiert ausgestellt, man sieht dabei eben keine Haut aber umso mehr die durchaus extreme Verkleidung. Die Person dahinter verkommt zum anonymen Objekt, direkten Blicken verborgen und doch vollkommen entblößt.
Vielleicht ist es auch das Kopfkino, das mit dieser Kombination noch einmal auf eine besondere Art seine Arbeit aufnimmt. So darf diese Objektifizierung auch im Spiel einen Platz einnehmen, die Person tritt dabei augenscheinlich in den Hintergrund und deren eigene Wahrnehmung wird künstlich begrenzt. Die Maske erschwert das Hören, eine Augenmaske das Sehen. Die eigene Haptik, vom Tastsinn selbst bis hin zu Berührungen, alle Umwelteinflüsse werden nur noch gedämpft wahrgenommen.
Während das Subjekt der Lust zum Objekt wird, geht die Person darunter nie wirklich verloren. Der Mensch ist Teil des Spiels, Consent ist immer im Spiel und genau da liegt der Unterschied zur leblosen Puppe. Hingabe in einer sehr besonderen und für sich genommen eigenen Form, bekommt die lustvolle Benutzung einer anderen Person ihren ganz speziellen Reiz.
Braucht es Kink?
Keinen meiner Kinks würde ich als Fetisch bezeichnen, denn sie sind für mich eben kein notwendiges Element der Lust. Für sich genommen geben sie mir nichts, dass meine Lust bis zum Höhepunkt bringen würde, allerdings können sie bestehende Lust und auch das damit verbundene Kopfkino durchaus weiter verstärken. Auch wenn die Grenzen hier und da zum Fetisch auch mal verschwimmen können und in Einzelfällen auch Zeit investiert wird um diese auszuleben, niemand kommt zu Schaden und am Ende des Tages können die Beteiligten die Befriedigung ihrer Lust ausleben und genießen.
Ich mag meine Lust, meine Kinks und die vielen Aspekte, die diese mit sich bringen. Kinks mit jemandem zu teilen macht mich immer wieder auch dankbar, vor allem wenn dabei die eigenen und mit denen des Gegenübers harmonieren oder sich beflügeln. Es ist eine privilegierte Position aus der ich diese Zeilen abschließe, ich habe die Zeit und auch die Möglichkeiten mich selbst in diesen Aspekten zu verwirklichen und so geht mit den Schlussworten auch eine besondere Art der Demut einher.
Passt auf euch auf!
Euer Tastenpoet.