Aftercare

Hin und wieder fällt das Thema auf den Begriff Nachsorge (Aftercare), vor allem im Zusammenhang mit dem Sub Drop aber eben auch mit dem Top/Dom Drop. Während ich die Auswirkungen des Sub Drop nur aus zweiter Hand kenne, ist Letzteres dagegen etwas, mit dem ich immer wieder mal kämpfe.

“Wenn er fällt, dann schreit er (nicht).”

Nach den ersten, nennen wir sie mal, Sessions, wurde das Problem in Bezug auf eine Sub akut und es war für mich absolutes Neuland. Es gab niemanden, der mir zur Seite stand, denn auch ihre Erfahrung war schlichtweg rudimentär, und Zugang zu erstem Lesestoff gab es mangels passender Begrifflichkeiten leider nicht. Da die dominanten Akteure eher weniger dazu tendieren ihre eigenen Gefühle offen anzusprechen, gehe ich bewusst diesen Weg und bearbeite hier vor allem meine Erlebnisse.

Zunächst einmal ist jede Session emotional aufgeladen. Über die Eröffnung, welche die Stimmung meist Tage zuvor bereits steigert, hin zum physischen Vorspiel, das dies dann nur komplettiert. Die Haltung (das Mindset) ist hierbei für mich von essenzieller Bedeutung, denn nur mit einem freien Kopf, schaffen es die Beteiligten sich fallen zu lassen und gemeinsam zu fliegen. Fliegt man als Top? Ich meine schon, auch wenn der Aspekt der Kontrolle (und damit des unbedingt zu vermeidenden Kontrollverlustes) durchgängig präsent zu sein hat. Genau dort startet die emotionale Fahrt, die Empfindungskurve zeigt steil nach oben, um parabelartig einen Höhepunkt im Spiel zu erreichen. Adrenalin und Endorphine werden ausgeschüttet, es entsteht eine Nähe zwischen den Spielpartnern, die ihres Gleichen sucht. Am Ende des Spaßes steht daher der teilweise anstrengende Teil, denn alles was nach oben geht, wird zurück auf den Boden der Tatsachen herunterkommen.

Um bei greifbaren Metaphern zu bleiben, das Fliegen ist wie Pendel, das bis zu einer maximalen Auslenkung aufgezogen wird und natürlich mit deren Kraft über den Null-/Normalpunkt ausschlägt und ins Gegenteil umschlägt. Die Kunst dabei ist die nachfolgenden Ausschläge, die Amplitude, zu dämpfen und wieder in einen Normalbereich zu kommen. Deshalb ist es vor allem meine Aufgabe, die Spielpartnerin aufzufangen. Während sie sich im Spiel fallen gelassen hat, um von mir getragen und auf ihrem Flug begleitet zu werden, habe ich dafür Sorge zu tragen, sie heil in die normale Welt zurückzubringen. Geht das jedoch schief, kommt es zwangsweise zu einem Vertrauensverlust und im Extremfall ist von dort an kein Spiel mehr möglich, denn sie wird sich nie wieder in meine Obhut begeben.

Inzwischen kann man an einigen Stellen darüber lesen und ein paar der Quellen habe ich euch unten zusammengefasst. Praktische Erfahrungen bleiben zwangsweise jedem selbst vorbehalten und wie so oft sind alle Konstellationen, alle Menschen, anders. Ich will mich hier bewusst auf mein Erleben konzentrieren und beschreiben, was es bedeutet, wenn ich nach dem Spiel falle – denn genau diese Erfahrungsberichte, kommen, wie ich finde, zu kurz.

Nun gehört zur Vor- und Nachsorge nicht nur der emotionale Aspekt, auch das Körperliche darf nicht zu kurz kommen. Während Hygiene von Personen und Spielzeugen selbstverständlich sein sollte, lässt sich die im Anschluss notwendige Nähe nicht nur mit einer Umarmung oder Kuscheln herstellen. Sei es gemeinsam zu Duschen oder andere Körperpflege (Lotion etc.) können genauso hilfreich sein, wie in einen Bademantel oder ein Handtuch eingewickelt zu werden. Getränke oder auch mal etwas Süßes (z.B. Schokolade) und auch eine liebe Stimme mit warmen und nicht nur lieb, sondern vor allem ernst gemeinten Worten, wirken wahrhaft Wunder.

Ich bin ein emotionaler Mensch und würde mich durchaus als empathisch bezeichnen, hinzukommen gewisse Punkte die man vielleicht eher der Hochsensitivität zuordnen würde, was sowohl Vor- wie Nachteile mit sich bringt (ein anderes Thema, für einen weiteren Tag und Beitrag). Jede Begegnung, ob im BDSM-Kontext oder nicht, weckt in mir den Wunsch zur Reflexion und das idealerweise allein, kombiniert mit Bewegung. Es kostet mich unheimlich Kraft, wenn die Gegenseite wiederum direkte Bestätigung und Konversation braucht, denn die eigenen Bedürfnisse sind dem oft entgegengesetzt. Was bleibt, ist diese Sehnsucht hintenanzustellen und vorwiegend zuerst einmal für die Partnerin zu sorgen. Ja, das ist meine Aufgabe! Um dennoch zu Versuchen beides unter einen Hut zu bringen, ist Kommunikation essenziell. Wohlgemerkt bereits vorab und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Es ist notwendig, die Situation zu erklären, meine Wünsche explizit nennen und ihre zu hören, um dann gemeinsam einen Weg zu finden, den beide Seiten weiter beschreiten können.

Die Wahrnehmung, welche Mittel mir dabei helfen und was eher kontraproduktiv ist, hat sich über die Zeit verändert. Sorge ich nicht hinreichend für mich, entsteht schnell ein Strudel aus Antriebslosigkeit, Fressattacken und einem Verlust der Struktur im Tagesablauf. Andererseits ist es oft Einfaches, wie ausreichend Flüssigkeit oder Natur, Wald und Sonne, kombiniert mit der zuvor genannten Bewegung. Meine Denkprozesse werden so angeregt und vor allem positiv kanalisiert, ich brauche diese Zeit, um die Gefühle in mir im richtigen Kontext wahrzunehmen und zu verstehen. Sie dann niederzuschreiben und ggf. zu teilen ist letztlich oft einer der Schritte vor dem eigentlichen Austausch darüber. Hier schließt sich der Kreis, und die Kommunikation mit der anderen Seite kann beginnen.

Was mir lange nicht klar war, dass dieser Prozess auf beiden Seiten dauert. Wir reden hier nicht von Stunden, sondern eher von Tagen. Je emotionaler das Erlebnis, umso stärker ist mein Bedürfnis, dieses zu verarbeiten und desto mehr Raum zur Reflexion brauche ich.

Spielräume und Möglichkeiten

Stellt man sich die Emotion tatsächlich wie eine Schwingung mit Ausschlägen in die eine, wie auch in die andere Richtung vor, und setzt diese Nachsorge mit einer Bremse, einer Dämpfung, dieser Schwingung gleich, dann ist der Faktor Zeit etwas, dass sich eben nur bedingt beeinflussen lässt. Ein schnelles Bremsen bis in den Normalzustand kann und sollte für beide Seiten meiner Meinung nach gar nicht das Ziel sein, gilt es doch die Empfindungen zu verarbeiten und für sich nachhallen zu lassen.

Direkt im Anschluss sind es für mich oft einfache Gesten, die die dringenden Bedürfnisse erfüllen und so auch Sicherheit vermitteln sollen. Passt der Flüssigkeitshaushalt? Braucht es gerade ein gutes warmes oder kaltes Getränk? Oder ist es vielleicht ein Verlangen nach Energie in Form von Schokolade oder anderen Süßigkeiten? Mit zunehmendem Abstand zum Spiel kann auch ein gemeinsames, möglicherweise nur leichtes, Essen nicht nur Bedürfnisse stillen, sondern auch Normalität und Nähe kommunizieren. Dazwischen gibt es wie so oft viele Schattierungen, die von frischer Luft über eine warme Decke oder auch Hautkontakt bis hin zu einem heißen Bad gehen können. Kurzum, jeder muss hier den eigenen Weg finden, der in der jeweiligen Konstellation passt.

Es läuft also konsequent auf einen achtsamen Umgang miteinander vor allem Kommunikation hinaus. Bedürfnisse zu erspüren ist immens anstrengend, auch das ist ein Grund warum ich selbst unter Umständen dazu neige abzustürzen, denn auch ich brauche dieses „aufgefangen werden“ um meinen Normalzustand wieder zu erreichen. Kommunikation hilft dabei nicht nur, sie spart auch Energie, die man dann auch in Selbstführsorge umsetzen kann.


Passt auf euch auf!

Euer Tastenpoet.



Update (22.04.2020): Formulierungen und Übersichtlichkeit überarbeitet. Update (24.04.2022): Formulierungen überarbeitet, Klarstellung einzelner Punkte und Erweiterung zu Spielräumen und Möglichkeiten.